Unesco Minett Biopsphere
© Thomas Jutzler

Daydream Unesco-Biosphäre

3 Minuten

Mensch. Bio. Sphäre.

2020 wurde die Minett-Region von der UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt. Besonders außergewöhnlich sind die von Menschenhand erschaffenen – und renaturierten – Landschaften. Diese zu entdecken, ist ein märchenhaftes Erlebnis..

„Bärte!“, schießt es mir durch den Kopf. Die Bäume haben grüne Bärte. Gleich beginnen sie, mit mir zu reden. Ich bin in Mittelerde. Es ist offensichtlich. Und spielten beim „Hobbit“ nicht auch Bergbau betreibende Zwerge eine große Rolle? Es würde mich nicht wundern, wenn mir gleich einer aus einem der sehr dunklen Löcher entgegenkäme, die sich hier allenthalben im Fels auftun.

Unesco Minett Biosphere
© Thomas Jutzler

Wunderschön gemauerte, perfekt eingefasste Grubeneingänge. Seit Jahren verlassen. Moosig-grün überwuchert an vielen Stellen. Steht man vor einem der Eingänge, spürt man den immer wehenden, kalten Luftzug auf der Haut. Auf der Gänsehaut. Schon bevor man sich dem eigentlichen Grubenschlund nähert, bemerkt man eine schaurige Temperaturveränderung. Ganz leichte, feucht-kühle Winde künden von den unterirdischen Gängen, die hier im Minett alles unterirdisch durchziehen.

Diese kühle Feuchte ist es wohl auch, die den Bäumen in den von Menschen gemachten Schluchten die Bärte wachsen lässt. Grüne, moosige Zotteln hängen wuchernd von den Ästen und geben den dünnen Stämmen eine bizarre, mystische Anmutung. Mittelerde eben. J.R.R. Tolkien hätte sich hier wunderbar inspirieren lassen können.

Im Übergang

Die Landschaft im Süden Luxemburgs ist durchlöchert und angebissen. Sie liegt da wie die Reste eines überdimensionierten Riesen-Festmahls. Die stählernen Giganten, die hier einstmals gefeiert und die Landschaft angefressen haben, sind fast alle verschwunden. Übrig sind Orte, die von intensiver industrieller Nutzung zeugen und die gleichzeitig beweisen, dass die Einflüsse des Menschen auf die Natur nicht nur ausbeuterisch sein müssen, sondern auch positiv sein können. Zumindest, wenn die Industrie dann irgendwann stillgelegt wird. Die Stilllegung der Bergbaustandorte hat die Entwicklung von Pflanzengesellschaften und die Entstehung einer besonderen Fauna begünstigt. Im Mikroklima der renaturierten Tagebaue siedeln sich seltene Pflanzen an. Kleintiere und Insekten kommen zurück. Orchideen, Schmetterlinge, Fledermäuse, Amphibien, Eidechsen, Reptilien – um nur einige zu nennen –, sind auf Wanderungen im UNESCO-Biosphärenreservat zu entdecken.

Während wir uns im knorrigen, feuchten Wald auf alten Versorgungswegen und stillgelegten Eisenbahnstrecken wieder aus demselbigen herausbewegen, begegnen wir immer wieder Eidechsen, die ihre Sonnenplätzchen – durch uns in ihrer Siesta gestört – flitzend verlassen und ins Unterholz verschwinden. In Senken sammelt sich Wasser, und man kann als Laie unmöglich erkennen, ob ein Biotop natürlichen oder menschlichen Ursprungs ist. Wenn zum Beispiel ein Hohlraum einer verlassenen Grube irgendwann eingebrochen ist und sich in der entstandenen Senke ein Tümpel gebildet hat. Erstaunlich ist die Vielfalt an Insekten und Amphibien, die sich an diesen Tümpeln beobachten lässt. Hin und wieder landen Libellen auf hübsch leuchtenden Orchideenblüten. Es quakt im Gebüsch, und in den Sonnenstrahlen über dem glitzernden Wasser tanzen unzählige Insekten.

Unesco Minett Biosphere
© Thomas Jutzler

Schon ein paar hundert Meter weiter zeigt sich ein völlig anderes Bild, wenn im ehemaligen Tagebau die Sonne das dunkelrote Gestein erhitzt und sich eine fast wüstenartige Natur präsentiert. Espen, Birken und Kiefern stehen locker beieinander und spenden dem Besucher gnädig ein wenig Schatten, während er sich staunend durch diese Landschaft im Wandel bewegt.

Phönix aus der Schlacke

Die Natur erobert sich die Abbaugebiete zurück. Und die Mountainbiker erobern sie auch. Am Lallinger Berg, zwischen Esch/Alzette und Kayl, staune ich über eine Schafherde, die wie eine neugierige Touristengruppe zwischen den rostroten Felsen umherstolpert, während umgekehrt auch die Schafe über die seltsam gekleideten Menschen auf Zweirädern staunen, die, zum Teil genauso stolpernd, durch das Gelände kurven. Der Bikepark hier ist durchaus anspruchsvoll. In mehrerer Hinsicht übrigens: Sanfter und in die richtigen Bahnen gelenkter Tourismus, naturnahe Landwirtschaft sowie Schutzzonen für die Natur sollen im Biosphärenreservat sozusagen Teamplayer sein.

Der Unterschied zwischen den Gebieten, wo die dunklen, leeren Augen der Schachteingänge den Besucher in schmalen Tälern plötzlich auftauchend brombeerüberrankt anglotzen, und den offenen, heißen Zonen der Tagebaugebiete könnte kaum größer sein. Feuchte hier – Tockenheit da. Dichtes Gestrüpp gegen offene Fläche. Kühle gegen Wärme. Dieser Gang durch die Klimazonen ist an einem Tag zu erleben, wenn man die richtige Wander- oder Bikeroute wählt.

Gerade die gelingende Renaturierung der Industriegebiete und die Wiedereroberung von Lebensräumen durch Flora und Fauna waren Voraussetzung für die Aufnahme in das weltweite Netzwerk der Biosphärenreservate des UNESCO-Programms „Der Mensch und die Biosphäre“. Nicht der totale Rückzug des Menschen soll erforscht werden, sondern seine Einflussnahme. Die Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur.

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Spannende Transformation

Eine Entwicklung von der industrie- zu einer wissensbasierten Wirtschaft im Einklang mit der Natur wird angestrebt. Das Biosphärenreservat im Süden Luxemburgs ist mit seiner hohen Siedlungsdichte im weltweiten Vergleich etwas Besonderes. Elf Gemeinden auf einer Fläche von 200 Quadratkilometern, zahlreiche Gruben und mehrere ehemalige Tagebaue sind Teil des Reservats. Nach dem Verschwinden der Schwerindustrie soll der Region ein neues Gesicht gegeben und dabei gleichzeitig das kulturelle Erbe einschließlich des Industrieerbes bewahrt werden.

Heute sehen wir in diesem dicht besiedelten Gebiet im Süden eine wiedergewonnene Biodiversität, die durch zahlreiche Projekte gefördert wird. Gleichzeitig ist es ein Raum mit erhaltenswerter Kulturgeschichte und einer spannenden urbanen Transformation. Der Mensch ist ein bestimmender Faktor innerhalb der sich wandelnden Biosphäre. Heute ist er sich seines Einflusses sehr bewusst, und auch, wenn der Weg lang werden wird: Im Süden des Großherzogtums bekommen wir eine Idee davon, wohin die Reise gehen könnte.

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